Es klingt zunächst positiv: Anlegeranwälte kümmern sich darum, die Ansprüche geschädigter Verbraucher gegen windige Kapitalanlagefirmen durchzusetzen. Doch die Realität sieht nach Einschätzung des Marktwächter-Teams der Verbraucherzentrale Hessen anscheinend oft anders aus. Nach Angaben der Betreiber der Plattform „Marktwächter Finanzen“, auf der Verbraucher unseriöse Geschäftspraktiken melden können, sind zahlreiche Verbraucherbeschwerden zu Anlegerschutzvereinen und spezialisierten Kanzleien eingegangen. Diese würden gezielt Anleger ansprechen, die am so genannten Grauen Kapitalmarkt Verluste erlitten hätten, berichten die Marktwächter.

Die Anwälte locken die geschädigten Anleger nach Aussage der Verbraucherschützer ungefragt mit Versprechungen, etwa zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Dabei werde Dringlichkeit suggeriert und Zeitdruck aufgrund von Verjährungsfristen aufgebaut. Wer nicht reagiere, werde erneut angeschrieben, berichten die Marktwächter. Für sich genommen wäre dies noch nicht kritisch – abgesehen davon, dass es sich bei diesem Vorgehen um unerlaubte Werbung handelt. Das Problem sehen die Marktwächter darin, dass bestimmte Kanzleien, deren Namen ihnen vorliegen, meist nicht ausreichend über die Gebühren für das Verfahren aufklären, die nach der kostenfreien Ersteinschätzung auflaufen.

Verfahren oftmals überflüssig

Zudem sind die Versprechungen nach Einschätzung der Marktwächter oftmals haltlos und die Rechtsgrundlagen teilweise auch fragwürdig. So hätten geschädigte Anleger berichtet, dass ihnen zweifelhafte Vergleiche oder so genannte Güteverfahren in Aussicht gestellt worden seien. Nach Aussage von Wolf Brandes sind diese Hilfsangebote oftmals sinnlos und überflüssig. „Es entsteht der Eindruck, dass einige Kanzleien und Schutzverein Mandate gewinnen wollen, die als Massenverfahren wenig Aufwand bedeuten“, so der Teamleiter Marktwächter Finanzen bei der Verbraucherzentrale Hessen. Dort wird derzeit geprüft, inwieweit das Vorgehen der Kanzleien die Grenzen des Wettbewerbs überschreitet.

Beispiel: Klage gegen die Göttinger Gruppe

Ein Beispielfall zeigt, wie Kanzleien vorgehen: So kostete die Pleite der Göttinger Gruppe vor rund zehn Jahren über 250.000 Anlegern einen Großteil ihrer Ersparnisse. 2015 versandte eine Kanzlei Rundschreiben an Geschädigte mit der Frage, ob sie bereits einen Aufhebungsvertrag schließen konnten. Es wurde suggeriert, dass es über diesem Weg möglich sei, Geld zurück zu erhalten. Wie der Insolvenzverwalter berichtet, ist dies rechtlich aber nicht möglich. Daraufhin mussten 10.000 Anleger das zunächst erstattete Geld wieder zurückzahlen. Wer sich auf das Angebot der entsprechenden Kanzlei eingelassen hat, hat also unterm Strich nicht nur das Geld nicht zurückerhalten, sondern zusätzlich auch noch das Honorar für die Kanzlei in den Sand gesetzt.

Kanzleien führen Anleger teils in die Irre

Nach Angaben der „Wirtschaftswoche“ warnen die Verbraucherzentralen davor, auf solche Rundschreiben blindlings einzugehen. So seien einige Formulare so aufgebaut, dass beispielsweise das Erteilen einer Vollmacht für den Fall nicht gleich erkennbar wird. Vorsicht sei vor allem bei Insolvenzen geboten, die bereits Jahre zurückliegen. Auch die Entschädigungseinrichtung Deutscher Banken (EdB) warne auf ihrer Website, dass immer wieder standardisierte Klagen auf Auskunft und Akteneinsicht eingereicht würden, obwohl die Entschädigungsverfahren längst abgeschlossen seien, zitiert die „Wirtschaftswoche“ die EdB. Die Folge: Vielfach sei das Anwaltshonorar weitaus höher als der erlittene Verlust.

Auch wer eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat, sollte nicht leichtfertig auf entsprechende Anschreiben von Kanzleien reagieren: In der Regel sind Verfahren aus dem Bereich der Kapitalanlage nicht mitversichert. Dies ist teils nur gegen erheblichen Aufpreis möglich. Und wer bereits einen Schaden erlitten hat, erreicht mit der nachträglichen Erweiterung der Police ebenfalls nichts. Der Grund: Wenn bereits absehbar ist, dass ein Schadensfall eintritt, zahlt die Versicherung nicht.