Vom Bäcker um die Ecke bis zum Fußballverein der Heimatstadt: Investieren Anleger in Mittelstandsanleihen, unterstützen sie Unternehmen bei ihrer Refinanzierung. Doch nicht alles, was man kennt und liebt, bietet eine sichere Anlageform. Zwar winken attraktive Zinsen, doch die Geldanlage ist meist mit hohen Risiken verbunden – im schlimmsten Fall droht ein Totalverlust. Sind Mittelstandsanleihen tatsächlich für Privatanleger geeignet? Und wo gibt es sie überhaupt noch?

Der Mittelstand in Deutschland gilt als das Rückgrat der Wirtschaft. Ihn verbinden viele mit Tradition, Handwerk und Unternehmerverantwortung. Mit diesem Image haben die Herausgeber von Mittelstandsanleihen jahrelang geworben – und so Gelder bei den Anlegern eingesammelt. Das Ganze funktioniert so: Ein Unternehmen gibt eine Anleihe heraus. Der Anleger kauft diese Schuldverschreibung entweder direkt über die Börse oder bekommt sie über einen Finanzvermittler. Der Anleger stellt dem sogenannten Emittenten sein Geld für eine vorher festgelegte Laufzeit zur Verfügung – gestückelt in fixe Beträge. Geht alles gut, erhält der Anleger in der Regel jährliche Zinszahlungen zum festen Termin. Mitunter liegen die Zinsen trotz derzeitiger Niedrigzinsphase bei sieben Prozent und mehr. Am Ende der Laufzeit begleicht das Unternehmen seine Schulden, indem es dem Investor den Nominalbetrag zurückzahlt. Soweit die Theorie.

Mittelstand ist nicht gleich Mittelstand
In der Praxis sieht die Sache allerdings anders aus. Denn nicht alle Unternehmen, die zum Mittelstand gehören und Anleihen herausgeben, sind auch wirtschaftlich stabil. Im Gegenteil: „Etliche Unternehmen sind in der Vergangenheit bereits insolvent gegangen“, sagt Thomas Hentschel von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Er nennt als Beispiele Prokon und den Brennstoffhersteller German Pellets. Weitere Kandidaten waren unter anderem der Landwirtschaftskonzern KTG Agrar, die MS Deutschland Traumschiffanleihe und der Modekonzern Steilmann.

Steilmann: Infodienst für Betroffene und Interessierte
Wer über aktuelle Entwicklungen zu den Steilmann-Anleihen informiert werden will, kann sich bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz kostenlos für einen Newsletter anmelden: per E-Mail (dsw@dsw-info.de) oder unter der Nummer 0211-669701.

„Die Ausfallquote liegt etwa bei einem Drittel“, sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Seiner Einschätzung nach werden weitere Insolvenzen wohl in absehbarer Zeit hinzukommen. Denn bei vielen Papieren enden die Laufzeiten 2016 oder 2017. Dann müssen die Unternehmen den Besitzern der Anleihe das Geld zurückzahlen – die Tilgungsphase beginnt. „Das kann dann entweder aus eigenen Mitteln refinanziert werden, durch einen klassischen Bankkredit oder auch durch die Ausgabe neuer Anleihen“, erklärt Jürgen Kurz. Doch wenn es dem Unternehmen wirtschaftlich schlecht geht, droht die Gefahr, dass auf keine der drei Arten das notwendige Geld beschafft werden kann. Im schlimmsten Fall sehen die Anleger dann ihr Geld auch nicht wieder, weil das Unternehmen pleitegeht.

verbrauchertipp: Anleger sollten sich nicht von bekannten Markennamen oder verheißungsvollen Versprechen blenden lassen. Besser ist es, das Geschäftsmodell, die Unternehmenszahlen sowie Kennzahlen und die Bewertung von Ratingagenturen genau zu analysieren.

Gefahr Totalverlust
Wer in Mittelstandsanleihen investiert, kann alles verlieren – denn unter Umständen besteht ein Totalverlustrisiko. „Der hohe Zins ist ein Ausdruck für das hohe Risiko, das man bei dieser Geldanlage eingeht“, warnt Thomas Hentschel. Er rät Anlegern, kritisch nachzudenken, warum ein Unternehmen ihnen eine Rendite von sieben Prozent oder mehr verspricht. „Häufig ist der Grund dafür, dass sie bei der Bank keinen Kredit mehr bekommen, weil sie wirtschaftlich zu schwach sind“, sagt der Verbraucherschützer und warnt: „Finger weg von Mittelstandsanleihen. Sie taugen nichts für Privatanleger.“ Sind sie also nur etwas für institutionelle Investoren?

Jürgen Kurz sieht dies nicht ganz so streng: „Privatanleger ist ja nicht gleich Privatanleger. Wer sich auskennt, kann durchaus in solche Anleihen investieren.“ Allerdings ergänzt er: „Es sind nicht viele Privatanleger in der Lage, das Ausfallrisiko einer solchen Anleihe im vollen Umfang zu beurteilen.“ Denn dafür müssen Anleger das komplette Unternehmen durchleuchten. „Am Ende geht es immer um die Frage, kann die Firma die hohen Zinsen über die gesamte Laufzeit zahlen und nach Ablauf die Gesamtsumme zurückzahlen“, sagt Kurz. „Der damit verbundene Aufwand ist relativ hoch, wenn die Investitionssumme beispielsweise zwischen 2000 und 5000 Euro liegt.“ Wer aber daran Spaß hat, ein Unternehmen zu bewerten, könne natürlich investieren.

Dirk Elberskirch, Vorstandsvorsitzender der Börse Düsseldorf, berichtet: „Wenn Privatanleger in Mittelstandsanleihen investieren, sind dies meiner Erfahrung nach in erster Linie Selbstentscheider.“ Er führt aus: „Also Personen, die nicht bei der Bank beraten wurden, sondern sich eigenständig überlegt und informiert haben, wo und wie sie ihr Geld investieren wollen.“

Stirbt der Markt für Mittelstandsanleihen?
Mittlerweile gibt es nur noch wenig neue Emittenten und nicht alle Anleihen sind für Privatanleger zugänglich – die Entscheidung liegt beim Emittenten. Medienberichten (F.A.Z. ^http://www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/mittelstandsanleihen/fehlende-tilgungen-der-mittelstandsanleihe-droht-der-todesstoss-14369081.html) zufolge stirbt der Markt der Mittelstandsanleihen langsam. Auch Jürgen Kurz bestätigt: „Der Markt ist weitgehend tot. Es gibt kaum noch Neuinvestitionen.“ Die Gründe dafür sind vielfältig: „Derzeit geben wenig Unternehmen Anleihen heraus, denn viele von ihnen bekommen bei der Bank aufgrund der Niedrigzinsphase einen Kredit“, erklärt Dirk Elberskirch. Außerdem habe das Image der Mittelstandsanleihen gelitten, ergänzt er und nennt eine Folge: „Im Frühjahr 2015 haben wir das Segment in einen Primärmarkt mit drei Risikoklassen umstrukturiert.“ Seitdem gibt es an der Düsseldorfer Börse keinen eigenen Markt für Mittelstandsanleihen mehr. Stattdessen sind alle Anleihen, die nicht von Banken oder Finanzinstituten herausgegeben werden, entsprechend ihrer Zinscoupons gegliedert. „Damit haben wir auf den Vorwurf reagiert, dass bei vielen Anleihen zwar Mittelstand drauf steht, jedoch nicht in jedem Fall drinsteckt“, erklärt der Düsseldorfer Börsenchef.

Aufstieg und Fall der Mittelstandsanleihen an den Börsen
Im Jahr 2010 war die Euphorie groß: Mehrere Börsen – darunter Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart – hatten eigene Segmente für die Mittelstandsanleihen eingerichtet und die Papiere extra gelistet. „Die Idee, mittelständischen Unternehmen über ein eigenes Börsensegment für Anleihen die Möglichkeit zu geben, Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen, war grundsätzlich nicht schlecht“, sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). So bekamen die Papiere mehr Aufmerksamkeit. Nur sei der Begriff der ‚Mittelstandsanleihe‘ durch die vielen Ausfälle mittlerweile fast schon ein Schimpfwort geworden. „Kein Wunder, dass die Börsen die eigens geschaffenen Segmente mittlerweile wieder dichtgemacht haben“, ergänzt Kurz. Die Märkte wurden teils ganz eingestampft wie in Stuttgart oder komplett neu strukturiert wie in Düsseldorf. Der Name und das Produkt Mittelstandsanleihen werden nun nicht mehr explizit angeboten.

Anleger, die sich auskennen und das Risiko einschätzen können, haben zum Teil weiterhin die Möglichkeit in Unternehmensanleihen zu investieren. Die Schuldscheine werden immer noch gehandelt – beispielsweise an der Börse Düsseldorf . Dort jedoch ohne das Label „Mittelstand“.

Kennzahlen und Kriterien
Wer in Anleihen investieren will, sollte neben dem Risiko auch ein paar Bewertungskriterien kennen – damit er nicht auf wirtschaftlich instabile Unternehmen mit hohem Ausfallrisiko setzt. „Dafür sollte man jedoch die Prospekte lesen und einordnen können, die Geschäftszahlen und die Kennzahlen verstehen“, sagt Jürgen Kurz. Außerdem müsse man das Emittentenrisiko – also das Insolvenzrisiko des Unternehmens, das die Anleihe herausgibt – einschätzen können. „Allein auf Ratings würde ich mich da nicht verlassen“, ergänzt er. Hilfreich sei zudem, die aktuelle Berichterstattung zu verfolgen – also Börsenbriefe zu abonnieren, Foreneinträge über das Unternehmen zu suchen, lokale Nachrichten, sowie Branchen- und Unternehmensberichte zu lesen. Thomas Hentschel warnt jedoch: „Das alles können institutionelle Investoren leisten, aber Laien oder Privatanleger in der Regel nicht.“

Orientierungshilfe im Anlagedschungel
Wichtige Hinweise für Anleger liefert unter anderem:
– Der Zinsdeckungsgrad: Er zeigt laut DSW das Verhältnis zwischen dem operativen Gewinn und den jährlich aufzuwendenden Zinszahlungen. Je höher der Zinsdeckungsgrad ist, umso besser arbeitet das Unternehmen. Ein klares Alarmsignal ist hingegen, wenn der Herausgeber der Anleihen die regelmäßigen Zinszahlungen nicht aus dem operativ erwirtschafteten Gewinn bedienen kann.
– Der Verschuldungsfaktor: Er setzt nach Angaben der DSW die Nettoverschuldung des Unternehmens – also alle Verbindlichkeiten abzüglich der liquiden Mittel – zum EBITDA ins Verhältnis. Das EBITDA ist eine Kennzahl, die Aussagen zur Rentabilität eines Unternehmens zulässt – dabei geht es um den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Liegt der Verschuldungsgrad über zwei, ist dies ein klares Warnsignal.

Beachten sollten Anleger bei der Bewertung außerdem:
– Geschäftsmodell: Wenn es bereits in der Vergangenheit profitabel war und sich bewährt hat, ist das ein gutes Zeichen. Darüber hinaus sollte es nachhaltig und zukunftstauglich sein. Außerdem sollte das aktuelle Management der Gesellschaft sich ebenfalls schon bewährt haben.
– Rating: Bewerten Rating-Agenturen das Unternehmen, sowie die Anleihe gut, kann man dies als positives Indiz werten. Auch die Bewertung der Bonität sollte gut ausfallen.
– Branchenprognosen: Das Unternehmen und die Branche haben eine Zukunft und entwickeln sich positiv. Der Emittent sollte transparent und nachvollziehbar über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens informieren.
– Zinscoupon: Die Zinsen, die ein Anleihebesitzer auf eine 100-Prozent-Anleihe bekommt. Die Zinshöhe und das Risiko sind zwei Seiten einer Medaille. „Der Zins spiegelt also das Risiko wider“, sagt Dirk Elberskirch, Vorstandschef der Düsseldorfer Börse.

Warnsignale sind hingegen:
– Verluste, die das Unternehmen über viele Jahre macht.
– Eine negative Ertragslage, die sich wahrscheinlich in absehbarer Zeit nicht verbessert.
– Zinszahlungen, die nicht bedient wurden, obwohl sie vereinbart waren.

Grundsätzlich muss die Geldanlage zu den persönlichen Sparzielen, dem eigenen Budget und der individuellen Risikoneigung passen. Stellen Sie sich dazu folgende Fragen: Wann und wofür brauche ich das Geld? Welche Risiken bin ich bereit einzugehen? Kann ich mir einen Totalverlust leisten?

verbrauchertipp: Achten Sie immer auf eine ausgewogene Mischung in ihrem Depot – also nie alles auf eine Karte setzen. Und sie sollten sich bewusst sein: Bei hohen Renditen geht man in der Regel immer auch ein hohes Risiko ein.

Und wer noch Mittelstandanleihen hat?
Anleihen werden an den Börsen weiterhin gehandelt. „Wer noch Papiere hat, kann sie halten oder innerhalb der Laufzeit verkaufen“, erklärt Jürgen Kurz. Gerät ein Unternehmen jedoch in finanzielle Schieflage, kann es schwierig werden, die Anleihe zu einem angemessenen Wert wieder loszuwerden. Jürgen Kurz rät Anlegern, regelmäßig in das eigene Depot zu schauen. Mit Hilfe der Wertpapierkennnummer (WKN) kann man erkennen, wo der Kurswert der Anleihe an der Börse steht. „Wenn der Wert der Anleihe bei 100 oder darüber liegt, ist dies grundsätzlich ein gutes Zeichen. Auch wenn sich der Wert gegen Ende der Laufzeit an den Wert 100 annähert, ist das völlig normal“, sagt Jürgen Kurz. Liegt der Kurswert der Anleihe an der Börse jedoch weit unterhalb – etwa bei 60 oder 70 – müssen Anleger aufmerksam werden. Dann sollten sie etwa aktuelle Börsen- und Branchenberichterstattung, sowie die lokalen Nachrichten verfolgen. „Das kann ein Indiz für wirtschaftliche Probleme sein. Im schlimmsten Fall sogar für einen bevorstehenden Ausfall oder eine Insolvenz.“

Quelle: verbraucherblick Ausgabe 09/2016