Die Geldschleusen der Europäischen Zentralbank (EZB) bleiben auch nach der Sommerpause weit geöffnet. Die Notenbank beließ bei ihrer September-Sitzung die Leitzinsen auf dem Rekordtief von null Prozent. Zudem bekräftigten die Währungshüter, die monatlichen Anleihenkäufe im Volumen von 80 Milliarden Euro bis mindestens Ende März 2017 fortsetzen zu wollen. Einige Akteure an den Finanzmärkten hatten erwartet, dass EZB-Präsident Mario Draghi eine Verlängerung ankündigt.
Draghi sagte in Frankfurt, die Notenbank werde die Unterstützung der Wirtschaft beibehalten. Falls nötig werde sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln handeln. Draghi erneuerte in diesem Zusammenhang seinen Appell an die Regierungen, ihren Beitrag zu leisten. „Die Umsetzung von Strukturreformen muss erheblich verstärkt werden“, forderte der Italiener.
Dem EZB-Chef zufolge wird die konjunkturelle Erholung zum Teil durch Unsicherheiten nach dem Brexit-Votum gebremst. Die Briten hatten am 23. Juni in einem Referendum den Austritt ihres Landes aus der EU beschlossen. Die hauseigenen Ökonomen der Notenbank rechnen nun für 2017 und 2018 mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von jeweils 1,6 Prozent im Währungsraum. Im Juni waren sie noch von je 1,7 Prozent ausgegangen.

Draghi kündigte zudem an, dass intern Experten prüfen werden, wie eine reibungslose Umsetzung der in Deutschland umstrittenen Anleihenkäufe sichergestellt werden kann. Über eine Verlängerung des Programms sei aber bei der jüngsten Sitzung nicht gesprochen worden. Die EZB und die nationalen Zentralbanken der Euro-Länder erwerben seit März 2015 im großen Stil Staatsanleihen und andere Wertpapiere, um die anhaltend niedrige Inflation im Währungsraum nach oben zu treiben und die Konjunktur anzuschieben. Das Programm ist auf 1,74 Billionen Euro angelegt.

Deutschland legte der EZB -Präsident einen Abbau seiner rekordhohen Exportüberschüsse nahe. „Geringere Überschüsse wären willkommen“, sagte er. Dies sei aber nicht per Knopfdruck möglich. „Das ist keine Planwirtschaft.“ Staaten mit hoher Wettbewerbsfähigkeit sollten daheim die Nachfrage stärken. „Mit anderen Worten: Länder, die finanziellen Spielraum haben, sollten ihn nutzen“, so Draghi. „Und Deutschland hat haushaltspolitischen Spielraum.“

Nach einer Prognose des Ifo-Instituts wird Deutschland in diesem Jahr mit 310 Milliarden Dollar den höchsten Überschuss in der Leistungsbilanz weltweit ausweisen und damit China überholen. Kritiker sehen darin ein Risiko für die Weltwirtschaft, weil solchen Ländern jene mit enormen Defiziten gegenüberstehen, die dafür Schulden machen müssen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat jüngst seinerseits „die zu hohe, besorgniserregend hohe Liquidität durch die Geldpolitik der großen Zentralbanken“ kritisiert. Draghi sagte dazu, der CDU-Politiker habe diese Äußerung nicht speziell auf den Euro-Raum gemünzt. Draghi forderte zudem mehr Reformen als Schrittmacher für ein höheres Wirtschaftswachstum. „Strukturreformen sind in allen Staaten des Euro-Raums nötig.“ Das Thema war bereits beim Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in den Mittelpunkt gerückt.

Draghi ist am 28. September im Europa-Ausschuss des Bundestages zu Gast und will sich dort den Fragen der Abgeordneten stellen. Dies ist ungewöhnlich. In Deutschland geschah dies zuletzt im Jahr 2012. Draghi war im Frühjahr wegen der lockeren Geldpolitik von deutschen Politikern scharf angegriffen worden.