Die Arbeitswelt hat sich in den letzten 25 Jahren stark gewandelt: Waren früher Erwerbsbiografien mit einer durchgängigen Beschäftigung vielfach üblich, weisen die Lebensläufe vieler Arbeitnehmer heute Brüche auf – etwa aufgrund von Arbeitslosigkeit, befristeten Arbeitsverträgen und Mini-Jobs. Viele Arbeitnehmer sind zudem im Niedriglohnsektor tätig. Die Folge für die Betroffenen: Das Risiko, im Alter von Armut betroffen zu sein, nimmt in dieser Bevölkerungsgruppe zu. Das ist das Fazit der Studie „Entwicklung der Altersarmut bis 2036: Trends, Risikogruppen und Politikszenarien“, die von den Wirtschaftsforschungsinstituten DIW Berlin und ZEW im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung durchgeführt wurde. Sie basiert auf der Auswertung von Daten der so genannten Babyboomer aus den Jahrgängen 1947 bis 1969 innerhalb des so genannten Sozioökonomischen Panels(SOEP). An der seit 30 Jahren regelmäßig durchgeführten repräsentativen Umfrage nehmen insgesamt rund 30.000 Personen aus etwa 12.000 Haushalten teil.
Wandel in der Arbeitswelt betrifft Babyboomer
Das Rentensystem sei in seiner derzeitigen Form nicht ausreichend auf diesen Wandel der Arbeitswelt vorbereitet, heißt es kritisch von der Stiftung. Sie hat für den Untersuchungszeitraum 2015 bis 2036 ermittelt, dass vor allem für alleinstehende Frauen, Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose das Risiko steigt, später von Altersarmut betroffen zu sein. Die Studie erfasst die geburtenstarken Jahrgänge, die ab 2022 mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen. Innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe steigt das Altersarmutsrisiko bis 2036 von heute 16 Prozent auf 20 Prozent. Dabei gelten Rentner als betroffen, deren Einkünfte sich auf höchstens 958 Euro netto belaufen.
Infolge des Wandels in der Arbeitswelt ist der Analyse zufolge damit zu rechnen, dass der Anteil der Neu-Rentner, der über die Grundsicherung vom Staat unterstützt werden muss, von derzeit 5,4 Prozent auf künftig sieben Prozent steigt. Wie die Bertelsmann Stiftung weiter ermittelt hat, ist das Risiko, in Ostdeutschland aufgrund der Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt in den 90er Jahren deutlich höher als im Westen: So liegt der Anteil der Neurentner mit Anspruch auf staatliche Unterstützung derzeit bei fünf Prozent, im Westen bei 5,5 Prozent. Bis 2036 wird die Schere jedoch weiter auseinanderklaffen, da für Ostdeutschland ein Anstieg der Quote auf elf Prozent prognostiziert wird, während im Westen mit einem minimalen Anstieg auf sechs Prozent gerechnet wird.
Besonders stark von Altersarmut bedroht: Alleinstehende Frauen
Das höchste Risiko für Altersarmut wurde für alleinstehende Frauen ermittelt: 2015 lag der Anteil derer, die Grundsicherung beanspruchen müssen, bei 16 Prozent. Bis 2036 wird ein Anstieg auf 28 Prozent prognostiziert. Fast jede dritte alleinstehende Neurentnerin wäre also auf staatliche Unterstützung angewiesen. Für Langzeitarbeitslose wurde ein Anstieg von 19 auf 22 Prozent ermittelt, unter den Geringqualifzierten ohne Berufsausbildung wird der Anteil voraussichtlich von zehn auf 14 Prozent steigen. Zum Vergleich: Unter den Neurentnern mit Hochschulabschluss beanspruchten 2015 nur drei Prozent Hilfe vom Staat, für 2036 wird eine Quote von fünf Prozent erwartet. Und lediglich 1,8 Prozent derer, die mindestens 35 Jahre in Vollzeit beschäftigt waren, werden 2036 voraussichtlich die Grundsicherung benötigen.
Der Studie zufolge ist neben der veränderten Arbeitswelt auch die demografische Entwicklung für das steigende Armutsrisiko verantwortlich – denn diese führe dazu, dass das Rentenniveau abgesenkt werden müsse, heißt es in der Studie. Gleichzeitig reicht die als Ausgleich geschaffene private Altersvorsorge nicht aus, um das Abschmelzen der gesetzlichen Rente zu kompensieren. Die Bertelsmann Stiftung fordert daher, das Rentensystem stärker an die veränderte Arbeitswelt anzupassen und auch die aktuelle Entwicklung an den Kapitalmärkten zu beachten. Den Dreh- und Angelpunkt zur Senkung des Altersarmutsrisikos sieht sie jedoch in gezielten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für die Risikogruppen: Dazu gehört etwa die Schaffung flexiblerer und sichererer Übergänge im Erwerbsverlauf und generell mehr Bemühungen, diese Gruppen auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren.