Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, steht schnell auch vor finanziellen Problemen. Dagegen sollen passende Policen einer Berufsunfähigkeitsversicherung helfen. Doch sie sind nicht immer leicht zu bekommen.

Man muss sich nur einmal den schlimmsten Fall ausmalen: Nach einer Erkrankung oder einem Unfall ist für lange Zeit nicht mehr an die bisherige Arbeit zu denken, vielleicht auch nie wieder. Dennoch laufen die Kosten weiter. Miete, Kredite, Lebensunterhalt, Versicherungen, Altersvorsorge, die Ausbildung der Kinder oder die Pflege der Eltern – all das will dann weiterhin bezahlt werden. Wer berufsunfähig wird, muss sich daher meist auch mit finanziellen Fragen auseinandersetzen. Aus dem Grund ist es sinnvoll, sich schon vorher einmal mit dem Ernstfall auseinanderzusetzen und seine monatlichen Ausgaben den Einkünften aus Arbeit, Kapital, Immobilien und anderem gegenüberzustellen. Sind bei Wegfall des Arbeitseinkommens die Ausgaben nicht mehr gedeckt, besteht eine Versorgungslücke.

Das Risiko, seinem Beruf nicht mehr nachgehen zu können, ist gar nicht so gering, wie manch einer denken mag. Statistisch gesehen trifft es etwa jeden Vierten. Zu den häufigsten Ursachen zählen psychische Probleme (Depression, Burnout), Muskel- und Skeletterkrankungen (Rücken), Krebserkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für Bianca Boss vom Bund der Versicherten (BdV) ist daher klar: „Wenn man nicht zufällig über große finanzielle Mittel verfügt, dann muss man sein Arbeitseinkommen absichern.“ Die Berufsunfähigkeitsversicherung zählt für die Expertin wie die private Haftpflicht zu den wichtigsten Policen, da sie die eigene Existenz finanziell schützt.

Unzureichender gesetzlicher Schutz
Gegen Berufsunfähigkeit sind nur noch Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung geschützt, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind. Alle anderen haben höchstens einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Sie greift erst, wenn Versicherte nur noch teilweise oder überhaupt nicht mehr arbeiten können – und zwar in irgendeinem Beruf. Verbraucherschützer wie der Bund der Versicherten und die Stiftung Warentest warnen, dass die gesetzlichen Leistungen in der Regel nicht ausreichen, um den Lebensstandard zu sichern. Über zusätzlichen privaten Schutz sollten also eigentlich alle nachdenken, die noch wenigstens einen Teil ihres Berufslebens vor sich haben und nicht von ihrem Vermögen oder dem Einkommen des Partners allein leben können.

Grundlegende Bedingungen
So wichtig der private Schutz gegen Berufsunfähigkeit ist, so teuer ist er auch. Prämien für die Rente im Leistungsfall können schon mal bei um die 100 Euro oder noch höher liegen – wohlgemerkt im Monat. Maßgeblich für die Höhe der Beiträge sind mehrere Faktoren: die Laufzeit der Versicherung, das Alter beim Abschluss, die vereinbarte Leistung, eventuelle Vorerkrankungen und ob der ausgeübte Beruf als riskant gilt. Generell fällt der Schutz umso günstiger aus, je früher die Police abgeschlossen wird. Bei vielen Gesellschaften ist dies schon ab dem 15. oder 16. Lebensjahr möglich. Eine Absicherung für deutlich weniger als 100 Euro ist abhängig von der persönlichen Situation durchaus drin.

Spätestens während der Ausbildung oder im Studium sollte man sich im Idealfall um den wichtigen Schutz kümmern. Zwar kann man dann in der Regel nur Leistungen bis zu einer Obergrenze von 1000 Euro monatlicher Rente vereinbaren, doch in guten Tarifen sollte es möglich sein, diese Summe später ohne Probleme zu erhöhen. Zudem sind Vorerkrankungen in jungen Jahren noch unwahrscheinlich. Bianca Boss vom BdV rät, sich so hoch wie möglich abzusichern. Als Orientierungspunkt bietet sich das Nettoeinkommen an. Die meisten Gesellschaften versichern aber nur einen Teil dieser Summe als mögliche monatliche Leistung. Die Police sollte bis zum regulären Renteneintritt laufen. Falls das nicht geht, etwa weil dies für manche Berufsgruppen wie Polizisten ausgeschlossen wird, sollte der Vertrag so lange wie möglich abgeschlossen werden.

Wichtige Klauseln
Den mitunter hohen Beitrag einer Berufsunfähigkeitsversicherung muss man sich leisten können. Dennoch sollte dessen Höhe nicht das Hauptkriterium bei der Auswahl eines Anbieters sein. „Wichtiger als ein günstiger Beitrag sind sehr gute Versicherungsbedingungen“, sagt Boss. Prinzipiell sollte der Versicherer als Maßstab nur den zuletzt ausgeübten Beruf heranziehen, damit nicht Jahre nach einem Berufswechsel noch auf eine frühere Tätigkeit verwiesen werden kann. Und es ist einfacher, wenn – statt einer Staffelung – ab einem Grad von 50 Prozent Berufsunfähigkeit die volle Leistung gezahlt wird.

Auf folgende Klauseln gilt es überdies zu achten:
• Abstrakte Verweisung: Der Versicherer sollte auf jeden Fall darauf verzichten, den Versicherten im Falle der Berufsunfähigkeit auf einen anderen vergleichbaren Beruf zu verweisen. Dies könnte nämlich zur Folge haben, dass keine Leistung gezahlt wird, auch wenn der Versicherte gar keinen Arbeitsplatz in dem anderen Berufsfeld findet.
• Nachversicherungsgarantie: Die vereinbarte Rente kann zu bestimmten Anlässen wie Hochzeiten, Geburt eines Kindes oder Einkommenssprüngen erhöht werden, ohne dass erneut eine Gesundheitsprüfung vorgenommen wird.
• Prognoseleistung: Der Versicherer zahlt im Idealfall bereits, sobald ein Arzt eine Dauer der Berufsunfähigkeit von voraussichtlich sechs Monaten voraussagt.
• Rückwirkende Leistung: Gibt der Arzt keine Prognose ab und bestätigt sich die Berufsunfähigkeit nach sechs Monaten, zahlt der Versicherer rückwirkend auch für diesen Zeitraum.
• Stundung der Beiträge: Stellt der Versicherte einen Antrag auf Leistung, werden die monatlichen Prämien gestundet, bis über den Antrag entschieden ist.
• Schuldlose Pflichtverletzung: Der Versicherer verzichtet auf sein Kündigungs- und Anpassungsrecht nach § 19 Versicherungsvertragsgesetz, wenn der Versicherte Vorerkrankungen schuldlos nicht angegeben hat.
• Verspätete Anzeige: Wird der Versicherungsfall verspätet gemeldet, zahlt die Gesellschaft trotzdem für drei Jahre rückwirkend die vereinbarte Rente.
• Überbrückung: Bei Arbeitslosigkeit und damit verbundenen Zahlungsschwierigkeiten gibt es Möglichkeiten der Überbrückung. Zudem sollte der Versicherer bei einem vorübergehenden Ausscheiden aus der Arbeitswelt – zum Beispiel für eine Elternzeit – im Leistungsfall den zuvor ausgeübten Beruf als Maßstab nehmen.
• Beitrags- und Leistungsdynamik: Beiträge und Leistungen werden jährlich prozentual erhöht, um die Preissteigerung auszugleichen. Sinnvoll ist es auch, wenn die Rente während der Auszahlung ebenfalls jährlich erhöht wird.
• Weltweiter Schutz: Der Versicherungsschutz bleibt nach einem Umzug auch im Ausland erhalten.
• Karenzzeit: Eine Frist, nach der die Leistung erst dann erfolgt, wenn die Berufsunfähigkeit bereits eine bestimmte Zeit besteht, ist nicht zu empfehlen. Es besteht das Risiko, dass dieser Zeitraum finanziell nicht überbrückt werden kann.
• Arbeitsunfähigkeit: Diese Klausel ist noch relativ neu und wird bislang nur selten angeboten. Ist sie vereinbart, leistet der Versicherer bereits, wenn eine ununterbrochene sechsmonatige Krankschreibung vorliegt.

Wer passende Angebote mit sehr guten Bedingungen gefunden hat, kann anhand der Preise entscheiden. Versicherer nennen einen monatlichen Brutto- und einen Nettobeitrag. Der Nettobeitrag ergibt sich aus der Verrechnung von Überschüssen und ist tatsächlich zunächst zu bezahlen. Man sollte dennoch auf den Bruttobeitrag achten, da er die Obergrenze des Tarifs darstellt. Sollten einmal weniger oder keine Überschüsse erwirtschaftet werden, kann der Versicherer den Beitrag bis zu dieser Summe anheben. Die Differenz ist zum Teil erheblich.

Sonderbedingungen für bestimmte Gruppen
• Können Auszubildende aus gesundheitlichen Gründen nicht in ihrem angestrebten Beruf arbeiten, zum Beispiel als angehender Bäcker mit einer entsprechenden Allergie, dürfen Versicherer sie auf eine andere Ausbildung verweisen.
• Für Studenten gibt es mitunter spezielle Tarife, die das geringe Risiko abdecken, bereits während des Studiums berufsunfähig zu werden. Sie kosten aber deutlich mehr.
• Beamte können nicht nur berufsunfähig, sondern auch dienstunfähig werden. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass ein Beamter zwar dienstunfähig, aber nicht berufsunfähig ist. In diesem seltenen Fall könnte der Versicherer auf eine ähnliche Tätigkeit im privaten Sektor verweisen. Dagegen helfen Dienstunfähigkeitsversicherungen, die im besten Fall die Entscheidung des Dienstarztes bindend akzeptieren.
• Wer seine Arbeitszeit reduziert, muss höhere Hürden nehmen, um Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu bekommen. Statt 50 Prozent von einer Vollzeittätigkeit dürfen nämlich nur noch 50 Prozent der Teilzeittätigkeit möglich sein, um als berufsunfähig eingestuft zu werden.

verbrauchertipp: Schließen Sie keine Berufsunfähigkeitversicherung in Kombination mit vermögensbildenden Produkten wie Kapitallebens- oder Rürup-Policen ab. Können Sie die höheren Beiträge einmal nicht mehr zahlen, verlieren Sie sonst auch den wichtigen Schutz.

Der Weg zum Vertrag
Gar nicht wenige Anträge auf Berufsunfähigkeitsversicherung werden von den Gesellschaften abgelehnt. Gründe sind etwa Vorerkrankungen oder als riskant geltende Berufe. Auch mit falsch ausgefüllten Anträgen kann es am Ende eine Police geben, im schlimmsten Fall führt sie jedoch dazu, dass im Versicherungsfall die Leistung zu Recht verweigert wird. Denn Antragsteller sind verpflichtet, alle Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten.

verbrauchertipp: Nur wenn Sie keine Berufsunfähigkeitspolice bekommen, sollten Sie Alternativen wie Erwerbsunfähigkeits- oder Dread-Disease-Versicherungen in Erwägung ziehen.

Wer Sorge hat, abgelehnt zu werden, kann über einen unabhängigen Versicherungsmakler anonymisierte Voranfragen bei mehreren Anbietern stellen lassen. Auch Bedingungen und Preise können so verglichen werden. Die Realität sieht aber oft anders aus: „Viele gehen mit dem Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung noch immer etwas lapidar um“, sagt Boss vom Bund der Versicherten. Sie rät, sich in jedem Fall unabhängig beraten zu lassen, bei einem Versicherungsberater auf Honorarbasis oder einer Verbraucherorganisation. Der Gang zu einem normalen Versicherungsvertreter sei dagegen weniger empfehlenswert. Denn der verdient nur bei Abschluss eines Vertrages und drängt deswegen womöglich dazu, es etwa mit den Gesundheitsfragen nicht allzu genau zu nehmen. Auch im Leistungsfall empfiehlt sich eine unabhängige Beratung für die Antragstellung.

Quelle: verbraucherblick Ausgabe 10/2016